Open Science als Toolbox zur Umsetzung von Leitlinien guter wissenschaftlicher Praxis
Nationale und internationale Organisationen stellen Leitlinien für Forschung auf, damit Forschung übergeordneten gesellschaftlichen Zielen dient, über die ein breiter Konsens herrscht, und nicht von der Durchsetzung partikularer (zum Beispiel persönlicher, kommerzieller oder parteipolitischer) Interessen bestimmt wird. Solche Leitlinien beschreiben grundlegende Regeln und Verhaltensweisen, die Forschungsintegrität und damit das Vertrauen in das Wissenschaftssystem sichern sollen. Sie sind etwa im Singapore Statement on Research Integrity zusammengefasst und in 25 Sprachen übersetzt worden. Auf europäischer Ebene formuliert The European Code of Conduct for Research Integrity eine Übersicht empfohlener wissenschaftlicher Praktiken. Verschiedene internationale Codes of Conduct and Research Integrity Reports sind auf der Seite des Ombudsgremium für wissenschaftliche Integrität in Deutschland verzeichnet. Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) veröffentlicht und aktualisiert Informationen und Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis. Eine Kernforderung vieler Leitlinien ist die Reproduzierbarkeit von Forschungsergebnissen. Hierzu müssen Daten und Analysemethoden nachvollziehbar dokumentiert sein.
In den Wirtschaftswissenschaften hat der Verein für Socialpolitik (VfS) 2014 Empfehlungen und Leitlinien für Ex-post Wirkungsanalysen veröffentlicht, um die Integrität einer evidenzbasierten wirtschaftspolitischen Beratung zu unterstützen. Darüber hinaus formuliert sein Ethikkodex Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, die unter anderem Transparenz von Annahmen, Reproduzierbarkeit von empirischen Ergebnissen, Offenlegung von Interessenskonflikten und Ergebnisoffenheit von Auftragsforschung fordern.
Der Verband der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer für Betriebswirtschaft e. V. (VHB) hat gute fachliche Praktiken veröffentlicht. Sie adressieren unter anderem Interessenskonflikte, Reviewertätigkeiten und den guten Umgang mit Daten sowie die Dokumentation des Forschungsprozesses. Darin enthalten ist die Offenlegung von Forschungsdaten und mit ihnen verbundener Dokumentation, Software und Quellcodes.
In der Umsetzung solcher Leitlinien spielen offene Praktiken, wie das Veröffentlichen in Open Access und die Bereitstellung von Forschungsdaten als Open Data, eine zunehmende Rolle. Open Science kann als ein Werkzeugkasten von digitalen Praktiken verstanden werden, die Annahmen, Prozesse und Ergebnisse der Forschung transparent, reproduzierbar und wiederverwendbar machen und ihre offene Kommunikation erleichtern. Viele dieser Praktiken können direkt der Umsetzung von Leitlinien für wissenschaftliche Praxis dienen. Dabei sind die Leitlinien über die verschiedenen Disziplinen und Institutionen hinweg nicht deckungsgleich und auch nicht identisch mit der Gesamtheit aller Praktiken, die unterschiedliche Forschende und Institutionen unter den Begriff Open Science fassen. Einige Praktiken mögen von manchen Akteur:innen des Wissenschaftssystems als „Open Science“ bezeichnet werden, während andere sie nicht als Grundpfeiler von Forschungsintegrität akzeptieren (zum Beispiel ist die Idee von Open Peer Review nicht unumstritten).